Taktiken und Aufstellungsvarianten

Salve Partenopei,
nutzen wir die fußballfreie Zeit um den spielerischen Werdegang des SSC Napolis genauer unter die Lupe zu nehmen.
Ich versuche hier einmal ein Zwischenfazit über die Arbeit Gattusos zu machen und das allgemeine Verhalten der Mannschaft auf dem Platz detaillierter zu betrachten.
Bereits nach kurzer Zeit unter Gattuso lassen sich schon Chrakteristika erkennen wie unser Mister die Mannschaft wieder auf die Siegerstraße gebracht hat.
Sicherlich traut sich auf Anhieb niemand dem großen Jupp Heynckes zu widersprechen. Er sagte einst: „Der Sturm gewinnt Spiele, die Abwehr Meisterschaften!“. Nach diesem Motto versucht Gattuso die Truppe wieder gewinnen zu lassen. Die defensive Viererkette wurde seit Rinos Amtsantritt wenig rotiert. Das gleiche Personal soll sich zu einer sicheren Einheit einschwören!
Die Grundformation unter Gattuso ist manchmal ein 4-1-4-1 oder auch ein 4-3-3. Wobei man das in einem echten Fußballspiel selten so pauschalisieren kann. Daher helfen diese Zahlen nur bedingt weiter, denn laut Louis van Gaal gibt es vier Phasen des Spiels. Auf diese möchte ich näher eingehen.

1. Phase: Ballbesitz(Gegner organisiert)
Bei eigenem Ballbesitz versucht unsere Mannschaft Sicherheit in ihr Spiel zu bekommen, daher sollte der Ball auch wenig risikoreich und von längerer Dauer in den eigenen Reihen gehalten werden. Unsere Innenverteidiger verlassen selten das erste Drittel, während meistens ein Außenverteidiger ins zweite Drittel rückt um eine zusätzliche Anspielstation zu geben. Mit den Zugängen von Demme und Lobotka haben wir zwei Spielertypen die die Lücke zwischen Abwehr und den beiden „8er“ schließen können. So können sie im Notfall nach hinten ausweichen um eine schnelle Überzahlsituation des Gegners zu verhindern. Gleichzeitig ermöglicht der klassische „6er“ dem RZM bzw. dem LZM ein Aufrücken ins letzte Drittel. Zu diesem Zeitpunkt befinden sich die beiden offensiven Außenspieler auf Höhe des Sechzehners. Unter Gattuso gibt es nicht mehr diese linkslastige Asymmetrie. Beide Seiten sollen ähnlich oft bespielt werden. Bei einem Angriff über rechts bilden unser RZM(Fabian), unser RV(Di Lorenzo) und unser RM(Callejon) ein Dreieck. Man will so den Gegner in die eigene Hälfte pressen und möglichst viele Optionen für einen Abschluss oder einen Pass offen zu haben. Meist versuchen wir mit dem RV und dem RM durch geschicktes Hinterlaufen an die Grundlinie durchzudringen um eine flache oder halbhohe, scharfe Hereingabe zu bringen. Bei Angriff über die linke Seite bilden der LZM(Zielinski), der LV(Rui) und der LM(Insigne) dieses Dreieck. Wenn wir über links spielen erfolgen öfter schnellere Abschlüsse durch Insigne oder Zielinski. Manchmal wenn der Gegner darauf eingestellt ist versucht Rui eine Flanke die nicht im Strafraum landet, sondern auf der rechten Seite um dort mehr Platz zu bekommen. Ebenso oft dann auch die berüchtigten Diagonalbälle von Insigne auf Callejon, sodass dieser in die Mitte ablegen kann. Besonderheit bei unserem Spiel sind die beiden inversen Spieler auf den jeweiligen Seiten. Das bedeutet, dass Insigne als starker Rechtsfuß nach innen ziehen kann um einen Torschuss abzugeben, während Callejon öfter die Flankenmöglichkeit sucht, da sein starker Fuß auch der Rechte ist aber er auch rechts spielt. Genauso Fabian Ruiz der mit seinem genialen linken Fuß nach innen ziehen kann um einen Schlenzer zu probieren, während Zielinski sich gelegentlich an einem Vollspannschuss aus der zweiten Reihe bedient. Der Stürmer in Gattusos System ist beim Aufbau sehr oft beteiligt. Milik und auch Ciro agieren oft als Wandspieler um die Bälle bis ins letzte Drittel verteilen zu können. Ab dann versuchen sie sich entweder in Abnehmerposition zu bringen oder möglichst einen gegnerischen Verteidiger aus der Kette ziehen zu können um für ihre Kollegen Platz zu schaffen.
Dieses System funktioniert nur mit spielstarken Stürmern. Am Beispiel Llorente, der ein klassischer Vollstrecker ist, sieht man das das Spiel mit diesem Spielertypen leidet und Optionen verloren gehen anstatt welche zu gewinnen. Machen unsere Jungs in dieser Phase alles richtig, dürfen wir uns über ein Tor freuen. Wenn nicht erfolgt...

2. Phase: Umschalten auf Ballbesitz Gegner(eigene Mannschaft unorganisiert)
Bei einem Ballverlust muss sich unsere Mannschaft dann von Offensive auf Defensive umstellen. Nun versuchen wir durch Gegenpressing ab dem zweiten Drittel Zeit zu gewinnen um uns zu formieren und die Räume eng zu halten. Die Abwehrviererkette rückt auf eine Linie an den eigenen Sechzehner. Vor der ersten Kette steht entweder Demme oder Lobotka die den Raum zur zweiten Kette schließen. Darauf formiert sich die zweite Kette aus LM- LZM- RZM- RM die sich dann innerhalb des ersten und des zweiten Drittels bewegt. Der vorderste Mann im System, sprich- Stürmer soll nun auch ans zweite Drittel zurück um lauern zu können. Bei schnellen Kontern des Gegners ist es oberste Priorität ein Überzahlspiel des Gegners zu verhindern. Daher haben wir eine klare Defensivordnung festgelegt. Die spielerischen Freiheiten der Akteure sind bei weitem nicht mehr so groß wie unter Sarri. Das ermöglicht uns leider nicht mehr diesen überfallartigen und wunderschön anzusehenden Sarrismo, aber dafür eine wenig anfällige Defensive. Sobald wir diese Ordnung, am besten so schnell wie nur möglich, hergestellt haben kann unser Spiel gegen den Ball beginnen mit...

3. Phase: Ballbesitz Gegner(eigene Mannschaft organisiert)
Durch meist enge Raumdeckung wollen wir dem Gegner keinen direkten Weg in die gefährliche Zone geben. Die ersten Anläufer sind nun LZM, „6er“ und der RZM. Sie suchen nun die direkten Zweikämpfe und arbeiten druckvoll gegen Gegner und Ball. Auf den Flügeln haben sich der LM und der RM bis an den Anfang des zweiten Drittels fallen gelassen um jegliches Hinterlaufen und Dribblings unterbinden zu können. Bei starken Gegnern befinden sich die „Außenstürmer“ auf den äußeren Halbräumen. Das ermöglicht es dem RV und dem LV bis an die Grundlinie die Gassen zu schließen. Der Gegner soll gezwungen werden sich mit weiten Flanken zu helfen, die unsere Innenverteidiger oder der moderne Keeper abfangen können. Unsere Philosophie soll sein, dem Gegner möglichst wenig Raum zu lassen.
Bei dieser Phase möchte ich noch auf einem Punkt eingehen der sehr oft als „verschlechtert“ angesehen wird. Bei Sarri erfolgte nach Ballverlust sofort aggresives Gegenpressing schon im letzten Drittel. Bei Gattuso beginnt das Pressing meist erst im zweiten Spielfelddrittel. Dies ist zurückzuführen auf den Aspekt der schnellen Umstrukturierung in die Defensive und auf die Tatsache, dass unsere Spieler Menschen und keine Maschinen mit Unendlich Ausdauer sind. Insigne und Callejon müssen das ganze Spiel über wesentlich mehr vertikale Läufe ansetzen, wie unter Sarri. Man muss ihnen eine Gelegenheit geben kurz durchzuatmen, denn gleich soll es ja wieder volle Kraft nach vorne gehen.
Dies waren die zwei Phasen die von Gattuso die meiste Achtung bekommen. Sie müssen funktionieren, sonst bricht alles zusammen. Leider ist es hier schwierig alles durch zu pauschalisieren, da jeder Gegner etwas anders reagiert und aufgestellt ist. Beim nächsten Spiel würde ich dann diese Phasen nochmals genauer behandeln.
Nun fehlt aber noch...

4. Phase: Umschalten auf Ballbesitz(Gegner unorganisiert)
Wenn unsere Helden den Ball wieder erobert haben ist natürlich der Gegner nicht sofort im Spiel gegen den Ball angekommen. Solange die gegnerische Mannschaft unsortiert ist versuchen wir einen ersten Gegenangriff über den Flügel. Je nach Ort des Ballgewinns startet der Außenverteidiger dieser Seite den vertikalen Lauf in die Tiefe. Zur Absicherung rückt nun der ZM auf seiner Seite auf die AV- Position um keine defensiven Lücken zu lassen. Der Außenstürmer, der Außenverteidiger, der Stürmer, der ZM der anderen Seite und der zweite Außenstürmer versuchen nun eine schnelle Abschlusssituation zu erspielen. Die Abwehrviererkette rückt nun weiter auf an die Grenze zum zweiten Drittel und versucht die Räume eng zu halten. Sollte dies nicht erfolgreich sein und der Gegner kann sich schnell wieder formieren ohne, dass wir zu einem Torabschluss kommen folgt erneut die 1. Phase.

Diese Phasen sehe ich als Gattusos Grundprinzip an. Ob einem diese Philosophie gefällt muss jeder für sich entscheiden. Ich denke aber, dass wir bei Siegen alle sehr gut damit leben können!
Es kann hier auch je nach Gegner überall leichte Veränderungen geben. Das oben genannte Schema sehe ich aber als Charakteristika an die man meistens bis immer sieht.
Wenn unsere Jungs endlich wieder Fußballspielen dürfen kann man das auch nochmals gegnerspezifisch anpassen.

Was ist bisher gut und was muss sich noch steigern?
Unser Defensivverhalten funktioniert wie oben genannt mittlerweile sehr gut. Die Mannschaft zeigt viel Einsatz, Kampfgeist und Lauffreude um diese Taktik spielen zu können. Gattuso hat eine klare Linie und erwartet sicher nicht weniger Leistung als Ancelotti oder auch Sarri. Er ist ein junger Trainer und kann sich daher weiter entwickeln. In seiner Philosophie steckt etwas Carletto, etwas Sarri und auch eine Prise von anderen Trainern gepaart mit seiner Auffassung von unseren Spielern. Bisher läuft es unter ihm nach Plan. Wie sich das langfristig entwickelt bleibt abzuwarten wie flexibel er in bestimmten Situationen sein kann.
Verbesserungswürdig ist das Spiel nach vorne. Hier würden mir gelegentlich mehr Diagonalbälle und Positionswechsel gefallen. Mit Ciro, Lorenzo, Jose, Zielinski etc. haben wir Spieler die nicht nur eine Position bespielen können. Dies sollten wir besser nutzen um schwerer ausrechenbar zu sein. Wenn Mertens z.B. mitten unterm Spiel auf den linken Flügel geht und Insigne ins Sturmzentrum rückt übernimmt natürlich jeder die Rolle des anderen. Sprich: Mertens muss dann die Läufe nach hinten machen die Loro sonst macht. So kann sich auch Insigne besser regenerieren.
Ich denke und hoffe wenn die Mannschaft auf das neue System eingespielt ist werden wir diese schnellen Wechsel auch noch sehen können.

An dieser Stelle möchte ich mich hier einmal kurz zum Thema „Stürmeroptionen“ äußern. Nach dem aktuellen Vorgehen unseres Vereins versuche ich hier realistisch vorzugehen und rechne keine Neuzugänge mit ein. Sprich: Mehr Einhaltung der eigenen Strategie, anstatt kostspielige Alternativen.

Die Vorbereitung unserer SSC Napoli zeigt uns mehrere interessante Ansätze. Zum einen ließ Spalletti verschiedene Formationen und fließendere Übergänge spielen. Zum anderen durften wir einige Spieler in unserem Trikot begutachten, die niemand auf der Rechnung hatte.

In diesem Beitrag möchte ich dabei explizit auf die Rolle des Stürmers eingehen. Diese Position findet sich in allen Varianten wieder. Des Weiteren erwartet uns genau dort eine große Aufgabe: Im Januar 2022 fährt Topstürmer Osimhen mit seiner Nationalmannschaft zum Afrika-Cup und wird für ein paar Spiele ein Loch in unser Team reißen.

Wer kann dieses Loch füllen?

Schauen wir uns das (bis jetzt) vorhandene Spielermaterial an. Egal, ob Petagna, Mertens, Machach, Ounas oder Lozano- Spieler die diesen Posten bekleiden können, sind nicht wenige.
Wenn man sich unser Spiel mit Osimhen so ansieht fallen gleich einige Dinge auf. Unsere Taktik, sowie Strategie sind auf Victor zugeschnitten und abgestimmt. Die Mannschaft profitiert stark von der Spritzigkeit und Dynamik des Nigerianers. Seine Qualitäten werden auch von den Mitspielern aktiv eingesetzt und werden schon zum neuen Markenzeichen unserer SSC.

Petagna: Der bullige Italiener ist kämpferisch sehr stark und ein hervorragender Wandspieler. Er kann die Bälle halten und verteilen. In diesem Bereich des Spielaufbaus ähnelt er Osimhen recht stark. Allerdings fehlt ihm im Vergleich viel beim Thema Geschwindigkeit.
Petagna kann das Januar-Loch nur dann füllen, wenn unsere gesamte Taktik stark an ihn angepasst wird- so wie das auch bei SPAL der Fall war. Eine höhere Staffelung wird bei dieser Option unumgänglich.

Mertens: Ciruzzo hat eine sehr durchwachsene Spielzeit hinter sich gebracht. Selten konnte er seine Qualitäten des absoluten Unterschied-Spielers zeigen. Driesinho in allen Ehren, aber in dieser Form- auch mit der aktuellen Verletzung- ist er keine ernsthafte Option für diesen Job. Er soll nun ohne Druck mit der Mannschaft arbeiten können und den Spaß am Fußball wiederfinden.

Machach: Zeigte eine sehr starke Vorbereitung und will sich unbedingt ins Blickfeld spielen. Bei ihm fällt auf, dass er über eine ähnliche Dynamik wie Osimhen verfügt. Zu seinen Charakteristika gehören auch ein trockener Torabschluss und technische Raffinesse am Ball.
Zugegeben: Der Franzose gehört nicht mehr zu den jüngsten und hat sich auf diesem Niveau nie beweisen können. Dennoch sollte eine starke Vorbereitung belohnt werden!

Fazit: Die wahrscheinlichen Kandidaten, die bei Osimhens Abstinenz in die Bresche springen, sind die prominenten Namen Mertens und Petagna.
Für mein persönliches Empfinden aber, würde ich Machcach auch in den nächsten Wochen die Zeit geben sich zu beweisen. Bei dem 25-Jährigen müsste strategisch deutlich weniger angepasst werden, da er in den Testspielen ähnliche Attribute wie Osimhen zeigte und auch mit der Mannschaft gut harmonierte.

Selbstverständlich verstehe ich, wenn die Idee, dass Machach im Januar vier Spiele als Stürmer in der Startelf macht, belächelt wird. Ich wünsche mir lediglich eine reelle Chance für ihn durch seine starke Vorbereitung und die frischen Auftritte.